Mett-Gitarre

Mein pataphysikalisches Weltbild ist durch die Ereignisse der letzten (nicht kommentierten) Monate so gefestigt worden , wie das ehrwürdige geheiligte Finanzsystem auf diesem Planeten ins Wanken geraten ist. No risk no fun.

Es hat mich für mehrere Monate atem- und sprachlos gemacht, eine verbale Fastenkur und heute ist Fastenbrechen: natürlich nicht die dünne Gemüsesuppe sondern großes Bankett, gefülltes Kamel nach dem Rezept von  T. C. Boyle!  Drei  Vernissagen stehen jetzt in meinem Lebensbuch die ich mit viel liebevoller und tatkräftiger Unterstützung von meiner Muse, meinen Kindern und deren Freunden/innen sowie der Nachbarschaftshilfe  ausgerichtet habe. Es war lustig, hat unglaublich viel Spaß gemacht,  ein erfrischender Kopfsprung vom 10 m Brett in ein neues Leben.  Die Sektbläschen sind inzwischen alle aufgestiegen und im trüben Herbstnebel dieser Tage nähern sich Krokodile und Chimären, Banalitäten und Kontostände, Mieten, bezahlen, Kühlschrank leer.  Dieses ganze langweilige Existenzgelumpe will sich in die Hirnwindungen schleichen. Der Pegel der Jammertalsperre ist bedrohlich angestiegen und wie Sandsäcke liegt das  Lob der Besucher davor: es war ein waghalsiges, naives Experiment und als Ergebnis ist eine gut renovierte Räumlichkeit für den Kulturverein K30 herausgekommen (der ist jetzt Mieter der Galerieräume) und ein experimenteller Kunstraum: Jörns kreativ  Garage- also ein ganz herzliches DANKE an alle die daran teil hatten.

Freundlicherweise hängt im Schaufenster noch immer eine neue Arbeit von mir: abstrakt tachistische übermalte Übermalung. Als es noch meine Galerie war hing im Schaufenster eine zeitlang die Gitarre und manchmal bremsten Autos, die schon daran vorbeigefahren waren ab, um im Rückwärtsgang sich dann doch noch zu vergewissern ob  das was flüchtig am äußersten Rand der Netzhaut auftauchte auch Teil der Realität war.  Die Wirkung  der eigenen Arbeiten zu erfahren ist ja  überhaupt ein spannendes Thema. Die Kommentare sind meistens recht kurz aber es gelingt mir eine gewisse Neugier  auszulösen, sich die Objekte genauer anzuschauen. Im Fall der Gitarre ist wie ich erfahren habe ein zwiespältiges berührt sein vorherrschend. Zum einen ist da der Ekel: zurückweichen und dann doch wieder hingucken- so etwa  wie bei einem Autounfall der sich gerade ereignet hat. Manche denken dann an Mett, Fleisch eben oder  an Helen Memels "Arschwunde" - ist eben schwer drüber zu reden  wie bildende Kunst ja überhaupt  so mühsam in Worte passt- passende Worte. Oder es wird dann so intellektuell dass  ich einfach nichts mehr kapiere, darüber einschlafe. Soll übrigens vielen Leuten so gehen und vergessen wir Buchstabenaneinandersetzer nicht auch in trüben Momenten was es erhellendes mitzuteilen gab. Die Bewegungen des Geistes sind  unübersichtlich, verquirlt-verschlungen und ich bin mißtrauisch geworden dem zu glauben was ich so denke wenn der Tag  lang ist.  Wenn dann noch die Hände ins Spiel kommen und Gedanken sich zu Kunst formen (wollen). Sie (die Gedanken)mittels der Hände in die Welt der Materie befördern, dann gibt es kaum mehr ein zurück. Dann entsteht der Wunsch Musiker zu werden, nur flüchtige Töne zu zeugen, jede Aufnahme zu verbieten und die Idee des Fluxus aufzugreifen. Ein Durchfall der Ideen, nichts zu hinterlassen was irgendwo, wie ausgestellt werden könnte.

Die Gitarre könnte so eine Art seelischer Nachhall sein der aus dem intensiven Betrachten der Fleischauslage  bei meinem Metzger  entstanden ist und dem anschließendem einschalten des Radios im Auto auf dem Weg  nach Hause. Geboren aus dem unerfüllten Wunsch ein Instrument spielen zu können. Die im Stern sich spiegelnden Flächen der zerschnittenen Festplatten sind die künstlerische Übertragung der kalten Schneiden der Metzgermesser die in dem unbekannten Universum des Todes leckeren Aufschnitt produzieren. Und der Dinkel der durch die  Seidenstrumpfhose verführerisch schimmert,  könnte als Anbetung der vegetarischen Sehnsüchte meiner Freundin gedeutet werden. Könnte sein. Es ist eben ein Zeugnis meines Seins in der Welt und darf interpretiert werden.  In romantischeren Momenten träume ich, die Gitarre könnte zum Objekt der Spekulation geworden sein und ich sehe die unglaublich langbeinige Dame einer eleganten "white cube" Galerie mit breitem, zähnefletschendem lächeln meine Mett-Gitarre  einem ebenso elegant gekleidetem Herren präsentieren.
Ich stehe beim Metzger, die Organe und Muskelstücke toter Tiere  betrachtend, die ich zu erwerben trachte. Während auf dem Millionen von Kilometer entfernten Mars Produkte der hightech Industrie nach Spuren dieses Lebens suchen und eine mediale Flut von Bildern der neuesten Attentate, Hungerkatastrophen, Bankenpleiten und chemieverseuchter Babynahrung auf uns niederprasselt. Darauf ist die Mett-Gitarre ein künstlerischer Nach(vor)hall. Zusammen mit dem zerstörten Klavier und der Sprachlosigkeit als Gesangsstimme könnte daraus ein Requiem entstehen!